Die 1889 gebaute Friedhofshalle wurde wenig später auch zur Unterbringung des jüdischen Leichenwagens benutzt, der die Wirren der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse überstanden und der zeitlichen Vergänglichkeit seiner Materialien mit Mühen und Schädigungen bis zum heutigen Tage getrotzt hat.
Wie beim tatsächlichen Alter des Friedhofs, so lässt sich das Entstehungsdatum des heutigen Leichenwagens ebenfalls nicht zu 100 Prozent bestimmen. Sicher ist, dass nach der Revision der Statuten von 1893 der Begräbnisverein im Besitz eines Leichenwagens war. Schließlich wurden hier diesbezüglich größere Richtlinien und Bestimmungen festgelegt. Ein ganzer Abschnitt mit 2 Paragrafen wurden hier dem Leichenwagen gewidmet.
„§ 31. Jedes Vereinsmitglied ist ver[p]flichtet, die Leiche durch den Leichenwagen befördern zu lassen, wofür er sofort nach der Beerdigung die mit dem Fuhrmann vereinbarte Fuhrtaxe, wie solche jeder Gemeinde von dem Vorsitzenden schon angegeben wurde, an den Friedhofs=Verwalter zu berichten hat.
§ 32. Sollte der Leichenwagen von einem Nichtmitgliede des Vereins, oder von einer Familie, die sich an den freiwilligen Beiträgen für die Anschaffung des Leichenwagens nicht beteiligt hat, verlangt werden, so ist außer der festgesetzten Fuhrtaxe noch eine besondere Taxe von M. 5 – Fünf Mark – sofort nach dem Gebrauch an die Vereinskasse zu berichtigen.“
Dem Friedhofsverwalter oblag es laut den Statuten zudem, wie es schon bei der Leichenhalle ebenfalls geregelt worden war, sich um die Überwachung und Reinhaltung zu kümmern. Er hatte bei der Abholung und dem Zurückbringen des Leichenwagens durch den Fuhrmann stets anwesend zu sein und hatte dem Vorsitzenden zu melden, wenn eine Nichtreinhaltung des Wagens durch den Fuhrmann vorlag. Der vom Begräbnisverein angestellte Totengräber hingegen musste den Leichenwagen nach Bedarf aus der Halle heraus- und wieder hineinfahren. Nach dem Gebrauch musste er den Wagen vollständig reinigen und die Tücher und Decken an dem Leichenwagen ausbürsten.
Vermutlich ist in diesen Statuten von einem Vorgängermodell des heute noch existierenden Wagens die Rede. Hierfür spricht zum einen die Angabe von Elmar Weiß, der in seinem Aufsatz über die Juden in Bödigheim den Leichenwagen ohne näheren Verweis auf das Jahr 1910 datiert. Zum anderen wurde bei der Restaurierung des Leichenwagens Zeitungspapier von 1911 gefunden, die bei der Herstellung des Wagens verbaut worden sein müssen.
Der heutige Leichenwagen jedenfalls ist 4,15 Meter lang, 1,44 Meter breit und 2,12 Meter hoch. Das Fahrgestell besteht aus einer Stahlkonstruktion mit blattgefederten Achsen, wobei sich vorne die Lenkachse und hinten die starre Achse befindet, woran auch die Feststellbremsen (Holzbremsklötze) angebracht sind. Der Wagen hat einen zweigeschossigen Kastenaufbau in Stollenbauweise, wobei das obere Geschoss offen ist und ein Bogendach hat, das wiederum von acht Balustersäulen getragen wird. Das untere Geschoss wird auf der Rückseite mit einer zweiflügeligen Türe verschlossen. Im Innenraum ist ein Auszug für den Leichnam eingebaut. Der Wagen besteht aus unterschiedlichen Holzarten wie u.a. Esche (Räder), Rotbuche (Kutschbock und teilweise Säulen), Nussbaum (Seitenwände), Pappel (Bodenbretter).
Die aufwendige Gestaltung des Leichenwagens, wobei hier wohl die Bezeichnung Leichenkutsche treffender wäre, wie auch die teilweise künstlerische Bemalung vor allem der Räder deuten sicherlich auf eine kunstfertige, überregionale Herstellungswerkstatt hin. Interessanterweise fällt die erste Erwähnung des jüdischen Leichenwagens in den Statuten von 1893 mit dem Erwerb eines Leichenwagens durch die christliche Gemeinde bzw. durch die Stadt Buchen zusammen. Bis ins Jahr 1891 hatte die Stadt Buchen nämlich keinen eigenen Leichenwagen, was von dem Bezirksamt kritisiert wurde. Daraufhin wurde im gleichen Jahr noch, nachdem sich Buchen an der Nachbarstadt Walldürn orientiert hatte, bei der Hofwagenfabrik Wilhelm Diem in Heilbronn ein Wagen bestellt, der nach einer Lieferzeit von 3,5 Monate Ende 1891 schließlich auch geliefert wurde. Es wäre sicherlich legitim zu vermuten, dass sich auch die jüdische Gemeinde an ihren Nachbarn orientiert und einen Wagen, den ersten, den zweiten oder sogar beide, bei der selbigen Firma bestellt haben könnte. Die Fertigkeit, einen Wagen wie den jüdischen Leichenwagen zu bauen, hatte der Wagenfabrikant aus Heilbronn ohne Frage. Vergleiche mit noch heute existierenden Wagen der Firma Diem erhärten zudem die Vermutung. Die drei verschiedenen Seriennummern (VB 202, VB 360, 59823), die bei der Restaurierung wieder zum Vorschein kamen, könnten zudem bei der Identifizierung der Herstellerwerkstatt hilfreich sein.
Der jüdische Leichenwagen von Bödigheim wurde jedenfalls bis Ende der 1930er Jahre verwendet. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde von den Machthabern schließlich versucht, den Leichenwagen gewinnbringend zu verkaufen. Am 25. November 1944 stimmte der Gemeinderat Bödigheim dem Ankauf des Leichenwagens zu. Das Ankaufsangebot lag bei 250 RM. Das Finanzamt Buchen Abteilung Verwaltung des jüdischen und reichsfeindlichen Vermögens war mit dem Angebot einverstanden und bat um Überweisung. Ob der Verkauf schlussendlich auch durchgeführt wurde, muss offenbleiben. In den Rechnungsbüchern und den dazugehörigen Beilagen der Gemeinde Bödigheim aus diesem Zeitraum findet sich kein entsprechender Eintrag.
Der Gemeinderat Bödigheim jedenfalls erklärte sich im März 1948 bereit, den Leichenwagen mietweise zu übernehmen. Indessen verblieb der Leichenwagen die ganze Zeit über in der Friedhofshalle, wo er schließlich bis ins Jahr 2017 unberührt stand.
Die Restaurierung des Leichenwagens
Von Mitte 2017 bis Ende 2018 wurde der Leichenwagen dann mit Zuschüssen des Landesamt für Denkmalpflege und der Stadt Buchen sowie Spendengeldern im Auftrag der Stiftung Bücherei des Judentums durch die Firma Immel Restaurierung in Ilshofen aufwendig restauriert.
Der Zustand des Wagens vor der Restaurierung war schwierig. Der Großteil der Holzbauteile war vom gemeinen Nagekäfer (anobium punctatum) befallen und die Metallteile waren mit Rost überzogen. Die rechte Bohle des Bodenrahmens im Bereich der Federbefestigung und die rechte Türe waren aufgrund des Anobienbefalls durchgebrochen. Die Balustersäulen waren entweder ebenfalls gebrochen oder wiesen erhebliche Fehlstellen auf. Dies alles machte verschiedene Restaurierungsmaßnahmen notwendig. So wurde der Wagen zur mehrtägigen Behandlung gegen tierische Schädlinge (u.a. holzzerstörende Insekten, Museumskäfer) mit Sulfuryldifluorid in einem Container verbracht. Die Statik wurde mittels Austausches und Ergänzung defekter oder fehlender Rahmenhölzer und Sparren wiederhergestellt. Die für die Lenkung, Federung und der Bremsen notwenigen Beschlagteile wurden rekonstruiert. Zusätzlich wurden die Oberflächen konservatorisch gereinigt und alle Metallbauteile mit einem Schutzüberzug versehen.
Ende März 2019 wurde der Leichenwagen schließlich nach erfolgreicher Restaurierung wieder zu seiner ursprünglichen Stätte auf dem Friedhof in Bödigheim zurücktransportiert, wo er auch in Zukunft stehen soll.