Es gibt Tage, von denen wünscht man sich, es hätte sie nie gegeben. Und es passieren Dinge, die niemals hätten geschehen dürfen. Zu ihnen zählt die Reichspogromnacht vom 9. November 1938. Es ist jene Nacht, in der im Deutschen Reich die Synagogen brennen und die Nazis jüdische Mitbürger schikanieren und zusammentreiben. Auch in ländlichen Regionen. Das Vorgehen gegen die 81-jährige Witwe Susanna Stern, geborene Gümbel, in Eberstadt bei Buchen gehört zweifelsohne zu den schändlichsten und widerwärtigsten Verbrechen in Verbindung mit der Reichspogromnacht. Weil Susanna Stern widerspricht und sich weigert, sich etwas überzuziehen und mitzukommen, erschießt sie der NSDAP-Ortsgruppenleiter Adolf Heinrich Frey mit drei gezielten Pistolenschüssen aus nächster Nähe. Nur weil sie Jüdin ist.
Begründet wird das Vorgehen von den Nazis mit der Ermordung des Gesandtschaftsrates I. Klasse Ernst vom Rath in Paris durch den Juden Grynszpan. Der Kreisleiter in Buchen weist den Eberstadter Ortsgruppenleiter morgens um 6 Uhr an, eine Aktion gegen die Juden in Eberstadt durchzuführen. Dabei sollen die Juden mit ihren Angehörigen zunächst in Verwahrung genommen und danach deren Räume nach Waffen durchsucht werden.
„Der Kreisleiter erklärte mir, ich könne mit den Juden machen, was ich wolle, nur dürfe es zu keinem Hausbrand und zu keinen Plünderungen kommen“,
gibt der 26 Jahre alte Landwirt Frey beim Lokaltermin im Hause von Susanna Stern am Vormittag nach dem schrecklichen Geschehen dem Amtsgericht Buchen zu Protokoll. (Quelle: Staatsanwaltschaft Mosbach: 1 Js 4558/46)
Der ledige Frey, geboren am 9. Januar 1912, wird zur Sache vom Buchener Amtsgerichtsrat und dem zuständigen Oberstaatsanwalt „in der Anzeigensache… wegen Totschlags“ vernommen. Der Amtsarzt nimmt die Leiche in „gerichtlichen Augenschein“. Ohne Umschweife gesteht der treue Gefolgsmann Hitlers die Tat und schildert minutiös den Tathergang:
„Ich gebe zu, daß ich die in ihrem Haus hier tot aufgefundene Witwe Susanna Stern, geb. Gimbel [Anm. d. Autorin: statt Gümbel steht Gimbel im Protokoll], heute vormittag kurz vor 8 Uhr durch Revolverschuß getötet habe… Ich habe zunächst an der Haustür geklopft. Hierauf schaute die Witwe Stern zunächst durch das links neben der Haustüre liegende verschlossene Fenster. Ich habe der Stern gesagt, sie solle die Tür öffnen. Es dauerte 3 - 4 Minuten, bis uns von der Frau die Haustüre geöffnet wurde. Als mich Frau Stern dann vor der Türe stehen sah, lächelte sie mich herausfordernd an, indem sie sagte: ,Schon hoher Besuch heute morgen.‘ Ich habe darauf nichts erwidert. Frau Stern dreht sich um und ging in ihr Zimmer. Ich bin ihr auf dem Fuß gefolgt bis zur Türschwelle. Ich habe nun die Stern aufgefordert, sich einmal anzuziehen. Sie ist aber zunächst nur im Zimmer herumgelaufen und hat meine Aufforderung lächelnd abgelehnt. Nach etwa zwei Minuten hat sie sich in die Mitte des rechts neben der Eingangstür zum Wohnzimmer stehenden Sofas gesetzt, worauf ich sie frug, ob sie sich nicht anziehen und meiner Aufforderung nicht Folge leisten wolle. Die Stern sagte mir darauf, sie ziehe sich nicht an und gehe nicht mit uns, wir könnten machen was wir wollten. Wir haben nämlich beabsichtigt, die Stern mit ins Rathaus zu nehmen, wohin wir sie aber mitnehmen wollten, haben wir der Getöteten nicht gesagt.“
Susanna Stern lehnt die Aufforderung ab, mit dem Ortsgruppenleiter und zwei SS-Männern aus Eberstadt zu gehen. Auf das weitere Insistieren Freys mit den Worten „Ich sage Ihnen jetzt, ziehen Sie sich jetzt an und gehen Sie mit“, erklärt Susanna Stern: „Ich gehe nicht aus meinem Haus heraus, ich bin eine alte Frau.“ Das lässt Frey nicht gelten und zieht seine Dienstpistole aus der rechten Hosentasche…
„Ich wollte nicht am frühen Morgen mit der Pistolentasche am Koppel herumlaufen und wollte jedes Aufsehen vermeiden. Insbesondere wollte ich auch nicht mit der umgeschnallten Pistolentasche zu den Juden hingehen. Nachdem ich die gesicherte Dienstpistole aus der Hosentasche genommen habe, habe ich die Frau noch 5 - 6 Mal aufgefordert, aufzustehen und sich anzuziehen. Darauf hat mir die Stern laut und frech und höhnisch ins Gesicht geschrien, ,ich stehe nicht auf und ziehe mich nicht an, machen Sie mit mir, was sie wollen‘. In dem Augenblick, als die Frau Stern rief, machen Sie mit mir was Sie wollen, habe ich den Sicherungsflügel der Pistole herumgedrückt und den ersten Schuß auf die Frau Stern abgegeben.“
Eiskalt fährt der Nazi fort:
„Bei Abgabe des ersten Schusses stand ich ungefähr 10 cm von der Türschwelle entfernt. Ich habe die Pistole nach der Brust der Getöteten zielend gerichtet. Auf den ersten Schuß ist die Stern auf dem Sofa in sich zusammengesunken. Sie hat sich nach rückwärts gelehnt und mit beiden Händen an die Brust gegriffen. Ich habe nun unmittelbar danach den zweiten Schuß auf sie abgegeben, und zwar diesmal nach dem Kopf zielend. Die Stern ist darauf von dem Sofa gerutscht und hat sich dabei gedreht. Sie lag alsdann unmittelbar vor dem Sofa, und zwar den Kopf nach links, den Fenstern zugewandt. In diesem Augenblick hat die Stern noch Lebenszeichen von sich gegeben. Sie hat in kurzen Abständen geröchelt und wieder ausgesetzt. Geschrien und gesprochen hat die Stern nicht. Mein Kamerad C. D. hat nun den Kopf der vor dem Sofa liegenden Stern gedreht, um nachzuschauen, wo der Schuß getroffen hat. Ich habe daraufhin zu meinem Kameraden gesagt, ich sehe gar nicht ein, warum wir hier herumstehen sollten, ich halte es für das richtigste, wenn wir die Türe abschließen und den Schlüssel abliefern. Damit ich aber ganz sicher war, daß die Stern tot ist, habe ich auf die Daliegende ein einer Entfernung von ungefähr 10 cm einen Schuß in die Mitte der Stirn abgefeuert. Hierauf haben wir das Haus abgeschlossen und habe ich von der öffentlichen Fernsprechstelle in Eberstadt die Kreisleitung angerufen und den Kreisleiter von dem Geschehenen unterrichtet...“
In den Unterlagen der Staatsanwaltschaft Mosbach stehen auch folgende Bemerkungen, die die Gesinnung eines Teils der Bevölkerung widerspiegeln. So heißt es:
„Bei dem Beschuldigten handelt es sich um einen anständigen und arbeitsamen Burschen, der einen soliden Lebenswandel und einen guten Ruf in der Gemeinde genießt. Er ist der Sohn achtbarer Eltern, über die nach Angaben des Ratsschreibers F. nur Gutes zu berichten ist. Vorstrafen sind keine bekannt.
Bei der Jüdin Stern handelt es sich um eine vorlaute und als bekannt freche Jüdin. Es erscheint absolut glaubhaft, daß sie dem Ansuchen des Ortsgruppenleiters Frey, mitzukommen, in echt jüdischer Weise äußerst frech entgegengetreten ist.
Die Einwohnerschaft in Eberstadt und der Umgebung, die Kenntnis von der Sache erhielt, nahm in aller Ruhe von diesem Vorfall Kenntnis. Man konnte nicht feststellen, daß in Eberstadt Personen vorhanden waren, die für die Jüdin Sympathie zeigten oder an der Tat besonders Anstoß nahmen. Durch die Ermordung des Gesandtschaftsrates I. Klasse Ernst vom Rath in Paris ist die Bevölkerung allgemein über die Juden sehr empört.“
Welche Form der Nationalsozialismus selbst in der Provinz annimmt, zeigt die Einstellung des Adolf Heinrich Frey, der in der Nachbarschaft zu den Sterns wohnt, nur zu deutlich. Hass und Hetze sind auch hier an der Tagesordnung. Kontakt zu Juden ist verboten, sonst drohen Verhaftung und KZ-Aufenthalt. Am 14. November 1938, vier Tage nach der abscheulichen Ermordung von Susanna Stern, schreibt Frey an seinen Kreisleiter in Buchen:
„In voller Verantwortung meines Amtes als Ortsgruppenleiter der NSDAP habe ich hier an diesem Tag meine Pflicht erfüllt, nach meinem Ermessen. Ich wäre ein elender Jämmerling, ja Feigling gewesen, hätte ich hier in diesem Fall mich vor der Verantwortung gedrückt und nicht den ganzen Kerl gezeigt. Ich betone, mein Kreisleiter, dass ich diese Tat, so lange ich lebe, nicht bereue.“
Das zitierte Selbstbezichtigungsschreiben lagert im Generallandesarchiv lange Zeit im Verborgenen, weil es falsch einsortiert und unzureichend erfasst ist. Statt in den Akten der Staatsanwaltschaft Mosbach oder in den Unterlagen zu dem gegen Frey in Abwesenheit geführten Spruchkammerverfahren landet das brisante Schriftstück im Bestand 465 c Document Center. Hier ist Material der NSDAP und ihrer Nebenorganisationen zu finden, das 1945 nach Kriegsende in amerikanische Hände fällt. Erst bei der Digitalisierung zur Online-Stellung kommt es zum Vorschein.
Susanna Stern hat keine Chance. Die gebürtige Pfälzerin ist Opfer eines nie da gewesenen Unrechtsregimes, das mit seinem Antisemitismus Millionen von Juden in den Tod stürzt. Die Weigerung der alten Frau am 10. November 1938, dem Befehl eines Nazis Folge zu leisten, ist durchaus nachvollziehbar. Sie muss in ihrem bisherigen Leben viele Schicksalsschläge hinnehmen - was kann sie da am Ende ihres Lebens noch umwerfen?
Albisheim südlich von Alzey ist der Geburtsort von Susanna Stern. Dort erblickt sie laut Geburtsurkunde am 8. April 1857 (und nicht wie häufig erwähnt am 9. oder gar am 13. April 1857) als Tochter der Eheleute Joseph und Fanny Gümbel, geborene Mayer, das Licht der Welt. Ihr Vater ist Metzger in dem kleinen Dorf, in dem es seit dem frühen 18. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde gibt, die bis 1930 besteht. Danach bilden die Albisheimer Juden mit der Israelitischen Kultusgemeinde im benachbarten Gauersheim eine gemeinsame Gemeinde.
Nach den Judenpogromen des Mittelalters ziehen es die Juden vor, sich in den kleinen Dörfern der Nordpfalz niederzulassen, wo sie sich sicher fühlen können. Elias Gümbel gilt als Stammvater der Albisheimer Judenfamilie Gümbel. Geboren am 20. Dezember 1776 in Framersheim, heiratet er am 19. Februar 1804 in Albisheim ein. Mit seiner Frau Kaye Hirsch hat er sieben Kinder. Zu den späteren Nachfahren gehört Susannas Vater Joseph.
Im 19. Jahrhundert beherbergt Albisheim eine kleine jüdische Minderheit, die aufgrund ihres Fleißes und sozialen Engagements sehr geschätzt ist. Im Jahr 1870, da ist Susanna Gümbel 13 Jahre alt, leben in der Gemeinde 44 jüdische Einwohner (Höchststand), die ganz und gar integriert sind. Die Kinder besuchen die örtliche Schule, waren allerdings wie die Katholiken und die Mennoniten vom protestantischen Religionsunterricht freigestellt. Die Albisheimer Juden zählen mehrheitlich zu den vielen ärmeren Dorfbewohnern. Sie müssen sich um das tägliche Brot stets Sorgen machen.
Zu jener Zeit lebt Susanna Gümbel noch in ihrem Heimatdorf. Verbindungen nach Eberstadt bei Buchen im heutigen Neckar-Odenwald-Kreis fördern erste Kontakte zu ihrem künftigen Ehepartner, dem Handelsmann und Landwirt (Viehhändler) Josef Moses Stern, Jahrgang 1854. Bereits sein Vater Nathan Stern, der mit Sara, geborene Stern, verheiratet ist, ging Handelsgeschäften nach, weil jüdischen Mitbürgern bis 1862 versagt war, ein Handwerk auszuüben.
Nach der Hochzeit zieht die junge Frau nach Eberstadt, wo sie in der Dorfstraße 2 eine Gemischtwarenhandlung führt. Vier Söhne werden dem Paar geschenkt. Josef erblickt am 27. Dezember 1888 das Licht der Welt. Es folgen Nathan am 3. März 1891, Hermann am 31. Januar 1894 und Emil am 11. Februar 1899.
Die Familie Stern ist Mitglied der jüdischen Gemeinde von Eberstadt, die seit Ende des 19. Jahrhunderts als Filialgemeinde zu Bödigheim gehört. Ihre Wurzeln gehen ins 17./18. Jahrhundert zurück. Die meisten Mitglieder zählt sie 1836 mit 112 Personen. Danach geht die Zahl rapide zurück. Im Jahr 1900 sind es nur noch 26 jüdische Einwohner in Eberstadt, fünf davon gehören der Familie Josef und Susanna Stern an. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts werden die schulpflichtigen jüdischen Kinder durch den Lehrer aus Bödigheim unterrichtet.
Die israelitische Gemeinde Eberstadt wird am 23. Dezember 1936 aufgelöst, da sie nur noch drei männliche Mitglieder zählt. Im Dorf gibt es außer der Landwirtschaft wenige Verdienstmöglichkeiten und so ziehen die Kinder der jüdischen Einwohner schon vor 1933 in Städte oder wandern aus. Wie lange die Synagoge unterhalb des Gasthauses Zur Krone auf Grund der schnell zurückgehenden Zahl der jüdischen Einwohner zum Gottesdienst genutzt wird, ist nicht bekannt. Bereits nach dem Ersten Weltkrieg können vermutlich keine regelmäßigen Gottesdienste mehr stattfinden. Im Synagogengebäude, das heute der Stadt Buchen gehört, befindet sich auch das rituelle Bad, die Mikwe. Sie wird nach 1945 verfüllt und mit einer Betondecke verschlossen. Vor einigen Jahren wird sie wieder freigelegt. Seit 2001 bestehen Pläne zur Renovierung und Nutzung als Studien- und Gedenkstätte, die bis heute nicht realisiert sind.
Die Buben der Familie Stern wachsen zu jungen Männern heran. Der nahende Erste Weltkrieg bringt sorgenvolle Tage. Hermann muss an die Front ziehen. Wie für jede Mutter, ist der Kriegseinsatz des Sohnes für Susanna Stern schmerzlich. Die Nachricht, dass Hermann im 12. April 1917 mit nur 23 Jahren in der Schlacht an der Aisne gefallen ist, trifft sie und ihren Mann hart. Ein weiterer Schicksalsschlag ereilt sie 1919, als ihr Ehepartner im Alter von 65 Jahren am 10. August stirbt. Nun ist sie allein.
Die Witwe lebt Tag um Tag weiter. Nach der Niederlage 1918 kennt der Antisemitismus keine Grenzen mehr. Die jüdischen Kriegsveteranen erhalten für ihre Opferbereitschaft und Tapferkeit keinen Dank. Im Gegenteil. Die Nazis verfolgen die Juden gnadenlos. Nichts schützt sie vor Deportation und Tod. Susanna Stern verlässt Eberstadt nicht, sie bleibt dort wohnen. Egal, was kommt. Sie hat so oder so nichts zu verlieren. Ihr Leben endet in Zusammenhang mit der Reichskristallnacht. In der Sterbeurkunde, die auf schriftliche Anzeige des Amtsgerichts Buchen ausgestellt ist, wird als Todesursache vermerkt: Tod durch Erschießen.
Sie muss zuvor miterleben, wie ihr ältester Sohn Josef, der in Eberstadt und Mannheim wohnt, ins Konzentrationslager Dachau deportiert wird, wo er vom 28. Juni 1938 bis 23. September des gleichen Jahres schikaniert wird. Danach kommt er ins KZ Buchenwald, das er nicht überlebt. In den Standesamtsunterlagen steht: „Gestorben 17. 3. 1940. Weimar II.“ Zuvor schon hat sie ihren Jüngsten verloren, der von den Nazis zur Zwangsarbeit geholt wird. Zwar kann er sich befreien und nach Israel fliehen, doch er stirbt am 22. Oktober 1937 in einem Kibbuz-Krankenhaus. Nathan Stern, der Eberstadt schon länger verlassen hat und zuletzt in Köln lebt, ist in einem Ghettohaus zwangsuntergebracht. Im Dezember 1941 werden die Bewohner abgeholt und mit dem Zug nach Riga ins Konzentrationslager gebracht. Die Familie Stern ist ausgelöscht.
Das Grab von Susanna Stern im neuen Teil des jüdischen Friedhofs von Bödigheim ist nicht irgendeine Ruhestätte. Die Geschichte der Verstorbenen geht auch über 80 Jahre nach dem grausamen Geschehen in der Pogromnacht von 1938 ziemlich nahe. Die alte Frau von damals ist bis heute nicht vergessen. Auf dem Grabstein (zum Grab-Nr. 1521) liegt immer ein Stein, der darauf hindeutet, dass stets jemand an sie denkt. Und der zugleich ein Zeichen zur Mahnung setzen will. Der Name von Hermann Stern ist auf dem Gefallenendenkmal in Eberstadt und der steinernen Bank auf dem jüdischen Friedhof in Bödigheim zu lesen. In der ehemaligen Buchener Synagoge gibt es ein Gedenkbuch an die jüdischen Opfer während der Nazi-Zeit. Eine Seite ist Susanna Stern gewidmet. Ein Eintrag am Holocaust-Denkmal in Berlin und ein Gedenkblatt in Yad Vashem erinnern ebenfalls an sie. Bemerkenswert und berührend zugleich ist die Tatsache, dass auch in ihrer früheren Heimatgemeinde Albisheim das Andenken an sie bewahrt wird. Nachdem jahrzehntelang in dem Ort keinerlei Hinweise auf die Existenz einer jüdischen Gemeinde und auf das Schicksal der in der NS-Zeit deportierten und ermordeten jüdischen Dorfbewohner vorhanden sind, lässt der Geschichts- und Heimatverein im Zusammenwirken mit der Ortsgemeinde im Jahre 2015 eine Gedenktafel anbringen. Auf ihr sind namentlich die Shoa-Opfer der ehemaligen Kulturgemeinde vermerkt. So auch Susanna Stern, geborene Gümbel.
Eine Frage bleibt: Was geschieht am 10. November 1938 mit ihrem Mörder? Der Beschuldigte wird noch am Tattag auf Anordnung des Oberstaatsanwalts vorläufig auf freien Fuß gesetzt. Es gibt keine Anklage, keine Gerichtsverhandlung und damit auch kein Urteil. „Das Verfahren ist durch Erlaß des Reichsministers der Justiz – III g 10 b 1621/38 g – vom 2. Oktober 1940 niedergeschlagen“, lautet die Nachricht des Generalstaatsanwaltes in Karlsruhe an den Oberstaatsanwalt in Mosbach. Frey ist ein freier Mann, kommt ungeschoren davon – wie so viele Verbrecher aus der Zeit des Nationalsozialismus. Zwar werden die Ermittlungen im August 1946 noch einmal aufgenommen. Das Gericht verurteilt ihn zu einer Entschädigungszahlung und Zwangsarbeit für einige Jahre. Allerdings setzt sich Frey bereits im Frühjahr 1945 ab und ist nicht aufzufinden. Er richtet sich nach einigen Jahren selbst. Adolf Heinrich Frey hat nach einer Mitteilung des Bürgermeisteramts Eberstadt vom 1. Februar 1965 am 1. Juli 1951 im nicht weit von seinem Heimatort entfernten Adelsheim Selbstmord begangen. Bei wem er sich versteckt gehalten hat, ist nicht geklärt.
Die ehemalige Synagoge in Eberstadt steht nach wie vor in der Dorfstraße. Das jüdische Leben allerdings wird in der kleinen Baulandgemeinde am 22. Oktober 1940 endgültig ausgelöscht. Die letzten Juden werden nach Gurs deportiert. Drei von ihnen erleben ihre letzten Tage in Auschwitz, wo sie ermordet werden. Für die ins französische Internierungslager Gurs verschleppten Juden wird im Eberstadter Schlossgarten 2018 von der Ortschaft und der Kirchengemeinde ein Gedenkstein Wider das Vergessen enthüllt. Ein identischer Zwillingsstein steht als Mahnmal auf dem Gelände der Tagungsstätte der evangelischen Jugend in Neckarzimmern. Sie sollen ein Zeichen für die Zukunft sein, dass sich solch ein schlimmes Kapitel der Geschichte in Eberstadt nie mehr vorkommen darf. Als Standort wählt man die direkte Nachbarschaft des Steins zum christlichen Kreuz, dem Kriegerdenkmal, auf dem jüdische und nichtjüdische Namen von Gefallenen stehen, und zugleich in direkter Sichtverbindung zur Synagoge.
Nun ist - über 80 Jahre nach der grausamen Tat an Susanna Stern während des Dritten Reiches – geplant, eine Erinnerungstafel an der Synagoge in Eberstadt anzubringen.
von Maria Gehrig